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Und das hat seinen Grund: Vorausgesetzt seine vernichtende Komponente kommt nicht zum Zug, birgt Neid nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft Chancen, wissen Soziologen. So kann er durchaus Anteil an Diskussionen über soziale Gerechtigkeit haben. Dieses Prinzip greift zum Beispiel, wenn sich Abgeordnete immer neue Diäten-Erhöhungen genehmigen, während in Europa die Armut mehr und mehr zunimmt.
Die Fairness-Funktion des Neides unterstreicht auch eine Schweizer Studie. Darin wurde untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn Top-Stars mit Mega-Gehältern in Fußballmannschaften spielen. Fazit: Wo Teamgeist gefragt ist, sollte es gerecht zugehen. Neid aber bremst den Team-Erfolg.
Der psychologische Hintergrund aller Neid-Facetten ist der Vergleich. „Jeder wünscht sich die Erfüllung seiner Bedürfnisse“, erklärt die US-Psychotherapeutin Betsy Cohen den Ursprung des Gefühls. „Die Liste unserer Bedürfnisse ist aber endlos. Man kann immer bei anderen etwas finden, was man selbst nicht zu besitzen glaubt.“ Jeder möchte wissen, wo er im Leben steht und ob er nicht zu kurz kommt. Das Neid-Barometer zeigt es uns an. Wer sich an seinem Platz nicht wohl fühlt, spürt diesen Stich im Herzen und reagiert mit einem emotionalen Gemisch aus Wut, Angst und Traurigkeit. Der Blutdruck steigt. Es wird vermehrt Adrenalin ausgeschüttet. Neid versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Tatsache ist: Neid ist vor allem eine persönliche Angelegenheit. Er sagt viel mehr über mich aus als über die anderen. Und genau darin liegt auch seine Chance. In der Möglichkeit, seinen Hinweisen zu folgen, Bilanz zu ziehen und den eigenen Status quo zu überprüfen. Dazu muss man sich eines bewusst machen: Irgendetwas stimmt nicht, signalisiert der Neid: Es kann noch besser werden. Demnach zwingt uns Neid immer wieder, uns mit der Frage, was wir mit unserem Leben machen, auseinanderzusetzen. Er veranlasst uns, genau hinzusehen: Warum nur quält es uns, wenn die Freundin ein neues, tolles Kleid hat? Warum fühlen wir uns mies, weil ein Kollege den Sprung in die Selbständigkeit gewagt hat? Auf diese Weise zeigen sich Wünsche und Ansprüche, die einem bis dahin gar nicht bewusst waren.
Vielleicht waren wir bisher vor allem damit beschäftigt, Erwartungen zu erfüllen, die andere an uns herangetragen haben: Eltern, Kinder, Freunde. Und haben dabei vollkommen ignoriert, dass noch Sehnsüchte in uns schlummern. Neid birgt also die große Chance zur Kurskorrektur, wenn man ihn als Wegweiser versteht, der die richtige Richtung anzeigt. Deshalb sollte man ihn zulassen und in Ruhe Bilanz ziehen.
Was fehlt mir in meinem Leben? Wovon träume ich? Was macht mich wirklich glücklich? Wie kann ich es erreichen. Allerdings: Um so mit Neid umgehen zu können, muss man ihn reflektieren. Gelingt das nicht, ist und bleibt dieses Gefühl zerstörerisch – es macht sogar krank. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass neidische Menschen oftmals zu Depressionen neigen. Das gilt im Besonderen dann, wenn es nicht um materielle Dinge geht, sondern um Gefühle. Wer sein Leben lang neidisch auf den Bruder war, weil der (angeblich) von den Eltern mehr geliebt wurde, macht sich mit diesem Gefühl selbst krank.
Aber Neid kann auch den Beneideten schaden. Wenn nämlich der Neider gezielt Front gegen ihn macht. Die meisten Opfer von Mobbing-Attacken im Büro sind somit Opfer von neidischen Kollegen.
Von Andrea Rink